Ausgerechnet ein Krimiautor wohnt in der Nachbarschaft des mutmaßlichen Dreifachmörders Jörg W.
 Dass die grausamen Taten sich auf seine Romane auswirken, damit hätte Wilfried Bremermann nie gerechnet.

 

Wilfried Bremermann schaut aus seinem Wohnzimmerfenster auf einen Ort, den er sonst in seinen Krimis beschreibt. Es ist das Haus, in dem sein Nachbar Gerd F. und der Stadthäger Fadi S. ermordet wurden. Ein Tatort.

Heute, zwölf Monate nach insgesamt drei Leichenfunden in Neuenbaum, sieht Bremermann beim Blick aus dem Fenster nur noch das Chaos, das die Einsatzkräfte auf dem Nachbargrundstück zurückgelassen haben. Auf dem Hof liegt Gerümpel und Müll, Gestrüpp breitet sich unkontrolliert aus, ein rot-weißes Flatterband weht im Wind. Dass auf dem Grundstück zwei Menschen getötet wurden, daran erinnert nur noch ein verblichenes Polizeisiegel. Häufig würden seine Frau und er sich fragen, was wohl mit dem Haus von Gerd F. passiert. „Wahrscheinlich wird es eine Art Geisterhaus“, vermutet Bremermann und schiebt die Gardine zurück.

Das verkommene Anwesen von Gerd F. passt so gar nicht in die Reihe der Nachbarhäuser, zu denen auch das gemütliche Einfamilienhaus der Bremermanns gehört. Die Vorgärten sind gepflegt, die Eingänge einladend, der Rasen stets gemäht. Hier – mitten auf dem Land – lebt Wilfried Bremermann mit seiner Frau und zwei Kindern. Der 55-Jährige ist Bankangestellter, trägt Hemd und Brille und sieht nicht so aus, als würde er sich in seiner Freizeit mit wahnsinnigen Mördern und tödlichen Gefahren beschäftigen. Das Schreiben von Geschichten und Romanen sei bereits seit der Jugendzeit sein Hobby, so der Hiller.

In seinem kleinen Arbeitszimmer im ersten Stock sitzt Wilfried Bremermann morgens vor der Arbeit am Laptop und schreibt an seinem neuesten Roman. In dieser Zeit habe er am meisten Ruhe, sagt er. Ein kleiner Schreibtisch, ein gemütlicher Sessel und ein Bücherregal – mehr braucht der Hobbyautor nicht.

Seinen ersten Krimi – „Die Hoffmann-Affäre“ veröffentlichte Bremermann im Jahr 2008. Seitdem ist mindestens alle zwei Jahre ein neues Buch erschienen. 2017 hat Bremermann den ersten Teil der Lavinia-Borowski-Reihe mit dem Titel „Nordpunkt“ herausgebracht. Die Protagonistin ist Privatdetektivin, die in Hille lebt. Im Juni 2018 ist Lavinias zweiter Fall mit dem Titel „Schachtschleuse“ erschienen. An dem dritten Teil arbeite er aktuell, sagt Bremermann und klappt seinen Laptop auf.

Zwar wird der neue Roman nichts mit den Dreifachmorden in Hille zu tun haben, trotzdem haben die Ereignisse einen Einfluss auf die Geschichte – denn Lavinia muss umziehen. Er habe als Wohnort für seine Protagonistin den Hof von Jörg W. ausgewählt, erzählt der Krimiautor und blickt aus seinem Arbeitszimmer in Richtung des Reiterhofs, wo die Geschichte spielt. Das Haus habe vor dem Einzug der Familie W. einige Jahre leer gestanden und er habe es gut gefunden, dort – zumindest gedanklich – einen Mieter einziehen zu lassen. „Es scheint mir für die Zukunft nicht die optimale Location zu sein. Ich trage mich mit dem Gedanken, Lavinia umziehen zu lassen“, sagt Bremermann nachdenklich und rückt seine Brille zurecht. Er könne sich beispielsweise vorstellen, dass auf dem Hof eine Weltkriegsbombe gefunden wird, die Entschärfung misslingt und das gesamte Anwesen in die Luft fliegt.

Wäre es für einen Krimiautoren nicht naheliegend, den Mord nebenan als Vorlage für einen Roman zu nehmen? Für Wilfried Bremermann nicht. Er ist jemand, der seinem Genre treu bleibt, nicht auf eine Sensationsgeschichte aus ist. „Ich schreibe Detektivromane, die Hille-Morde hingegen sind klassischer Polizeistoff. Lavinia Borowski ermittelt freiberuflich und klärt keine Morde auf. Lediglich der Aspekt, dass Jörg W. eine Zeit lang bei der Fremdenlegion war, könnte in künftigen Romanen eine Rolle spielen. „Ich stelle mir eine literarische Figur vor, die Kontakt zur Fremdenlegion hat“, verrät Bremermann. Bis sein nächstes Buch erscheint, wird es allerdings noch ein bisschen dauern. Als Veröffentlichungstermin peilt der Hobby-Autor den Sommer 2020 an. Spätestens dann wissen seine Leser, wie es mit Lavinia Borowski weitergeht.

Auch wenn er beim Schreiben in eine andere Welt eintauche, seien ihm die Ereignisse nebenan auch ein Jahr später immer noch präsent. Es war der 9. März 2018, der dem Hiller für immer im Gedächtnis bleiben wird. Bremermann wirkt zwar nicht mehr sonderlich betroffen, die Details sind ihm aber nach wie vor präsent. Es sei ein Freitag gewesen, als seine Frau ihn auf der Arbeit anrief und sagte, er solle schnell nach Hause kommen. Es sei etwas passiert. Er habe daraufhin pünktlich Feierabend gemacht. „Um zu unserem Grundstück zu kommen, musste ich einen Umweg fahren. Alles war voller Einsatzfahrzeuge“, sagt er und zeigt Richtung Nachbarhaus. Es war der Tag, an dem die Mordkommission „Wilhelm“ in der Scheune von Gerd F. die Leiche des 30-jährigen Libanesen Fadi S. fand. Und es war das Ende einer grausamen Mordserie, die nicht nur die direkten Nachbarn, sondern ganz Hille bewegt.

Foto: Stefanie Dullweber

Sein erster Gedanke war, dass die Polizei Nachbar Gerd tot in seinem Haus gefunden habe, erinnert sich Bremermann. „Der war ja schon länger vermisst.“ An einen Mord habe er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gedacht, obwohl er als Krimiautor ein natürliches Interesse an solchen Fällen habe. Dass sein Nachbar Jörg W. schon bald zum Tatverdächtigen wird, das habe er erst aus der Zeitung erfahren.

Nachdem die Polizei dann auch bei ihm vor der Tür stand, habe er schon ein das ungute Gefühl gehabt, dass etwas nicht stimmt. Und als dann, wenige Tage später, zwei Hundertschaften der Polizei in Neuenbaum anrückten und anfingen die Nachbargrundstücke umzugraben, sei das schon unheimlich gewesen, gibt Bremermann zu.

Seine Familie und die anderen Nachbarn hätten ja nicht wissen können, dass es ein falsches Bild war, das Jörg W. ihnen über Monate vermittelt habe. Die Häuser der Familie Bremermann und der Familie W. liegen dicht beieinander, trotzdem habe es keinen näheren Kontakt zu den Reiterhof-Besitzern gegeben. Der ehemalige Fremdenlegionär habe ihnen auf Nachfrage nur erzählt, dass Nachbar Gerd einen Entzug mache und in einer Klinik für Alkoholkranke sei. „Wir haben uns nichts dabei gedacht. Gerd war lange trockener Alkoholiker. Nachdem er wieder rückfällig wurde, hat er den Kontakt zu uns abgebrochen.“ Dass er schon seit Monaten tot unter Bäumen auf dem Grundstück von Jörg W. verscharrt lag, damit hätte der Krimiautor in seinen kühnsten Kriminalfantasien nicht gerechnet.

Als nach Fadi S. und Gerd F. auch noch die Leiche von Jochen K. gefunden wurde, sei das schon gruselig gewesen, gibt Wilfried Bremermann zu. „Warum mussten diese Menschen sterben?“ Diese Frage bewegt den Hiller nach wie vor. Er und seine Frau hätten von all dem nichts mitbekommen und seien irgendwann von der Polizei vor vollendete Tatsachen gestellt worden. „Für die Verarbeitung dieser schrecklichen Taten war das vielleicht gar nicht so schlecht – denn ändern konnten wir ja sowieso nichts mehr.“

Bremermann hofft nach wie vor, dass im Gerichtsprozess geklärt wird, warum sein Nachbar Gerd F. sterben musste. Gleichzeitig ist er erleichtert, wenn nach dem Urteilsspruch im Dreifachmord-Prozess endlich wieder Ruhe in Neuenbaum einkehrt. „Vor einem Jahr war Neuenbaum plötzlich ein touristisches Highlight. Alle paar Minuten fuhr ein Auto bei uns vorbei.“

Dass die Hiller Dreifachmorde Stoff für andere Krimiautoren sein könnten, das kann Wilfried Bremermann sich sehr gut vorstellen. Für ihn – der durchaus über grausame und brutale Taten schreibt– sei es jedoch immer noch unvorstellbar, dass drei Morde direkt nebenan passiert sind.