Unter großem Medienaufgebot und strengen Sicherheitsvorkehrungen eröffnet die Große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld am 3. September 2018 den Prozess gegen Jörg W. und Kevin R.. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die beiden des zweifachen gemeinschaftlichen Mordes an dem Nachbarn Gerd F. sowie an dem landwirtschaftlichen Helfer Jochen K.. Außerdem wird Jörg W. des Mordes an Fadi S. beschuldigt, Kevin R. ist hier der Beihilfe angeklagt. Im Verlauf des Prozesses stellt sich heraus, dass nicht nur Jörg W., sondern auch Kevin R. mit einem Fäustel auf Fadi S. eingeschlagen hat. Das Motiv soll in allen drei Fällen Habgier gewesen sein.

Nebenkläger im Prozess sind der Vater, zwei Brüder sowie die Ehefrau von Fadi S.. Sie werden jeweils von einem Rechtsbeistand begleitet, der Vater von Fadi S. hat außerdem einen Dolmetscher an seiner Seite. Auch die Schwester von Jochen K. tritt im Beisein eines Rechtsanwaltes als Nebenklägerin auf.

Der Vorsitzende Richter Dr. Georg Zimmermann hat zwei weitere Berufsrichter an seiner Seite. Außerdem verfolgen drei Schöffinnen den Prozess. Die Staatsanwaltschaft ist mit zwei Vertretern ebenfalls im Gerichtssaal vertreten. Außerdem sind die beiden Psychiaterinnen Dr. Sabine Nowara und Dr. Nahlah Saimeh anwesend, die die beiden Angeklagten begutachten sollen. Jörg W. und Kevin R. haben jeweils zwei Rechtsbeistände – die Verteidiger von Jörg W. sind Nicole Friedrich und Mirko Roßkamp, Kevin R. wird vertreten von Peter Jahn und Peter Wehn.

Wut und Trauer

Die Atmosphäre im Gericht ist bedrückend, die Stimmung schwankt zwischen Wut und Trauer. Die Angehörigen von Fadi S. – sie alle tragen Anstecker mit dem Konterfei des Opfers – stimmen ein Klagelied an, „Mörder“-Rufe sind aus den Zuschauerreihen zu hören. Im Verlauf des Prozesses wird ihre Anwesenheit seltener, sie können die grausamen Details, die vorgetragen werden, nicht ertragen. Die beiden Angeklagten würdigen sich keines Blickes, aber auch das Wehklagen der libanesischen Großfamilie lässt sie scheinbar unbeeindruckt.

Zermürbend ist der Prozess für die Angehörigen vor allem deshalb, weil sich die beiden Angeklagten gegenseitig beschuldigen und sich nur über ihre Anwälte oder Gutachter zu den Vorfällen äußern. Selber wollen sie nicht auf die Fragen des Richters antworten. Stattdessen hört das Gericht die Aussagen zahlreicher Zeugen, darunter Nachbarn, Bankangestellte, Arbeitgeber und Freunde.

Jörg W. hatte die Vollmacht über das Konto von Gerd F.

Die offensichtlichen Geldprobleme von Jörg W. sind im Prozess ein zentrales Thema. Bei seiner Festnahme in Bayern trägt der Verdächtige die EC-Karten der Toten Gerd F. und Jochen K. bei sich. Außerdem stellt die Polizei Aufnahmen von Überwachungskameras sicher, die den Beschuldigten beim Geldabheben zeigen. Später kommt heraus, dass er sich wohl auch mit dem Verkauf von Fahrzeugen an seinen Opfern bereichert hat. Wie später vor Gericht bekannt wird, hatte Jörg W. für das Konto von Gerd F. eine Vollmacht und steckte sich dessen Rente in Höhe von 1.300 Euro monatlich ein. Auch für dessen Hof war W. als Erbe im Testament eingetragen. Nach der Tötung von Jochen K. sollen die beiden Angeklagten sich dessen Besitz in Höhe von 3.200 Euro unter sich aufgeteilt haben. Jörg W. kassierte außerdem K.s monatliche Sozialleistungen in Höhe von 580 Euro. Den Libanesen Fadi S. soll Jörg W. um 5.000 Euro betrogen haben, indem er ihm eine Geschäftsbeziehung vorspielte.

Kevin R. bestätigt später im Prozess, dass sein Ziehvater Geldprobleme gehabt habe. Auch ihn hätte er dazu gebracht, einen Kredit in Höhe von 20.000 Euro aufzunehmen, wovon er Jörg W. 12.000 Euro gegeben habe. Nach Recherchen der Ermittler hatte das Ehepaar W. bei mehreren Banken Schulden. Ungewöhnlich hohe Einkünfte hatten Doris und Jörg W. durch die Aufnahme eines Pflegekindes im April 2017. Für deren Betreuung kassierten sie monatlich rund 3.300 Euro.

Altar mit Hitler-Bildern

Schockierend für die Prozessbeobachter sind die Schilderungen des Rechtsmediziners Dr. Bernd Karger, der im Gerichtssaal beschreibt, wie grausam die Leichen zugerichtet waren. „Das war exzessive Gewalt. So etwas sehen wir nicht oft“, sagte Karger, der die Männer obduziert hatte. Unfassbar sind auch die Bilder, die der Vorsitzende Richter zeigt, als er den Tatortbericht der Mordkommission verliest. Die Ermittler haben neben jeder Menge Unrat und Müll auch ein Bild von Adolf Hitler mit der Aufschrift „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“ gefunden, außerdem eine Art Altar mit Hitler-Bildern, Utensilien aus dem Zweiten Weltkrieg sowie jede Menge Waffen und Munition.

Im Verlauf des Prozesses kommt heraus, dass Jörg W. einen Großteil seiner Biografie erfunden hat – er hat in Bewerbungsschreiben falsche Angaben gemacht und seine Zeit in der Fremdenlegion ausgeschmückt. Er sei in der Einheit der Fallschirmspringer gewesen, habe Einrichtungen feindlicher Truppen zerstört und im Irak-Krieg gekämpft [13]. In Wirklichkeit hat Jörg W. nur zwei Monate und 28 Tage in der Einheit gedient, bevor er aufgrund einer medizinischen Untauglichkeit ehrenhaft entlassen wurde.

Handybilder von der Grube

Für Kevin R. nimmt der Prozess eine unerwartete Wendung, als klar wird, dass die Blutspritzer an seiner gelben Jacke nur entstanden sein können, als der Träger dieser Jacke auf den am Boden liegenden Fadi S. einschlug. Das hatten ebenfalls die Untersuchungen des Rechtsmediziners ergeben. Ob diese Person allerdings auch für den tödlichen Schlag verantwortlich war, dazu machte Dr. Karger keine Angaben. Der heute 25-Jährige behauptet nach wie vor, bei allen drei Taten dabei, aber nicht aktiv beteiligt gewesen zu sein. Er habe aus Angst vor seinem Ziehvater geschwiegen, so Kevin R..

Zwei Fotos, die Rechtsanwalt Christian Thüner in seinem Schlussvortrag zeigt, scheinen dies zu widerlegen. Sie zeigen die beiden Angeklagten beim Ausheben eines Grabes. Etwa hüfttief stehen Jörg W. und Kevin R. in einer Grube, halten einen Spaten in der Hand und lachen in die Kamera, während der jeweils andere die Aufnahme macht. Diese Handybilder schicken sie dann anschließend Doris W. – die Ehefrau des Angeklagten. Sie macht übrigens als Angehörige von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und muss deshalb vor Gericht nicht aussagen.

Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Freiheitsstrafe

Nach insgesamt 30 Prozesstagen, etlichen Zeugenvernehmungen, zwischenzeitlich weiteren Untersuchungen auf den beiden Höfen und zahlreichen Gutachten fordert die Staatsanwaltschaft für beide Angeklagte eine lebenslange Freiheitsstrafe sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Das bedeutet, dass eine Haftentlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen ist. Außerdem fordern sie für Jörg W. die anschließende Sicherungsverwahrung. Die Verteidiger von Jörg W. bestreiten in ihren Schlussvorträgen, dass ihr Mandant an den Tötungen aktiv beteiligt gewesen sei. Die Anwälte von Kevin R. fordern einen Freispruch für ihren Mandanten. In seinem letzten Wort sagt Jörg W. „Ich habe nichts getan.“

Wie fällt nun das Urteil für Jörg W. und Kevin R. aus?

Quellen

[13] Aussage/Protokoll vor dem Landgericht Bielefeld